Klinik Teil 2
Aktualisiert: 4. Aug.

19.11.19.
Das Schlimme am Kranksein ist, dass die Welt es schon am nächsten Tag wieder vergessen hat... nur man selbst eben nicht. Man selbst liegt bangend in einem Krankenhausbett und wartet auf Untersuchungen, auf Ergebnisse, auf Besuch.
Die Welt dreht sich ohne mich weiter; und ich dreh mich um mich selbst. Trotzdem. Viele gute Freunde schreiben mir, denken an mich, reden mit mir. Mein Opa war da, meine Mama, mein Freund und meine Schwester haben den Tag bei mir verbracht... Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass alles ohne mich passiert und dass der Alltag mich mal wieder vergessen hat. Oder bin ich es, die den Alltag vergessen hat? Schon nach ein paar Tagen Krankenhaus? Kann das sein?
Krank sein ist, als würde das Leben eine Pause machen, dabei ist diese Art von Pause alles andere als erholsam; eher anstrengend, aufregend und zermürbend. Die Zeit zwischen PVC-Boden und Klinik-Duschen mit integrierten Duschstühlen vergeht irgendwie langsamer als sonst. Nicht wie eine gelungene Slowmotion aus einem zweitklassigen Actionthriller... eher wie die Stunden einer einsamen Nacht.
9:46 Uhr
Ich sitze im Klinik-Café, das deutlich schöner ist, als der ganze Rest der Klinik. Vermutlich waren die Architekten sich darüber bewusst, dass hier mal Menschen essen werden, die es nicht leicht im Leben haben.
Um 11 Uhr ist mein MRT Termin. Mein Bein vibriert, mein ganzer Körper zittert... ich kenn' das schon von mir, aber Mama blinzelt immer wieder besorgt über ihre noch unberührte Laugenstange zu mir herüber.
11:16 Uhr
Ich werde abgeholt; mit einem Rollstuhl, den ich absolut nicht brauche. Ich darf laufen, wir gehen in den Keller, denn da stehen alle MRT-Röhren. Mir wurde mal erzählt, dass die Geräte im Untergeschoss stehen müssen, weil sie zu schwer für jedes andere Stockwerk wären. Ich behaupte, sie stehen dort, damit man die Menschen, die dort untersucht werden, nicht weinen hört. Die Stimmung im Wartebereich vibriert und ich vibriere mit. Mama streichelt meinen Arm.
Umso ruhiger ist es dann hinter der Tür. Ich werde aufgerufen, ziehe mich aus. BH, Schmuck und die Hose mit den Metallösen, die ich vergessen habe. Ich werde aufgeklärt, bekomme eine Nadel in den Arm, betrete das Zimmer mit der großen Röhre und den wechselnden Lichtern an der Wand, die mich beruhigen sollen. Tun sie nicht.
Die Radiologin legt mich auf die Liege, schiebt mein Shirt hoch ("Wir sind ja unter uns Mädels") und schließt das EKG an. Dann legt sie eine dicke Platte auf meinen Brustkorb. "Das ist ein Messinstrument", sagt sie und lächelt mich freundlich an, dann fahre ich in die Röhre und beginne zu zählen. 1...2...3...4.......513...514... Eine automatische Stimme gibt mir Atemkommandos. "Einatmen, danach ausatmen, danach nicht mehr atmen." Die Stimme klingt anfangs noch sympathisch, fünfzig Minuten später nicht mehr wirklich...941...942...
16:51 Uhr
Wir warten. Und warten. Und warten.
Warten lernt man hier. Ich glaube, das hat was mit der Zeit zu tun, die hier langsamer vergeht, zumindest für die Patienten; nicht für die Ärzte, die in jedem Patientengespräch mindestens drei Anrufe bekommen. "In Ordnung, ich komme sofort", nuscheln sie dann in den Hörer und das bei jedem einzelnen Gespräch.
Wir warten schon seit Stunden auf die Ergebnisse des MRTs, aber offenbar hat der Arzt heute Nachmittag einmal zu oft gesagt: "In Ordnung, ich komme sofort", und je mehr Patienten in seiner Warteschlange stehen, desto weniger wahr wird das "sofort".
17:13 Uhr
"Sieht alles gut aus", sagt der Arzt und ich sehe, wie er vor seinem inneren Auge einen Haken an meine Geschichte macht. "Das ist gut, aber wie geht es jetzt weiter? Warum gibt es die Ausfälle, warum die Tachykardien?", frage ich, aber der Arzt winkt nur ab. "Solange Sie nicht umkippen, können wir einer jungen Frau leider keinen Herzschrittmacher einsetzen, auch wenn das die einzige Lösung für Ihr Problem wäre... Ja... Ihr Herz setzt aus, aber laut des MRTs ist die Ursache dafür nicht Ihr Herz.", sagt er und zuckt mit den Schultern, dann fragt er: "Haben Sie noch Fragen?", und lässt uns allein.
20:43 Uhr
Ich sitze zuhause in meinem Bett und weine. Eigentlich sollte ich glücklich sein, schließlich haben die Ärzte nichts gefunden, außer ein bisschen Wasser im Herzbeutel.
Nur... normalerweise geht man zu Ärzten, weil sie helfen, weil sie wissen, weil sie ändern, verbessern, heilen. Ein komisches Gefühl, wenn dem dann nicht so ist...
Genau das ist es, was ich seit meiner Lungenembolie am meisten fürchte. Ein weiteres Problem ohne Lösung. Ein weiterer Defekt, den sich niemand erklären kann, das nächste Damoklesschwert, das ich immer mit mir tragen muss. Seit der Embolie ist meine Welt sehr klein. Und heute Abend... heute Abend ist mein Leben noch ein bisschen kleiner. Mir bleibt vielleicht noch ein Quadratmeter. Ein halbes Bett. Mehr nicht.