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Klinik Teil 1

Aktualisiert: 4. Aug.



Mein Freund hat heute Geburtstag und trotzdem schlägt mein Herz nicht ganz so, wie es soll... Obwohl es doch gerade heute nur für ihn schlagen sollte. Obwohl es doch ihm gehört und nicht irgendwem anders, irgendeinem Arzt, irgendeiner Diagnose.


Weil mein Herz nicht richtig schlägt, musste ich heute in die Klinik, dabei war ich in den letzten drei Jahren deutlich zu oft dort zwischen all den weißgesichtigen Kranken, den weißen Betten, den Latexhandschuhen und Kitteln, die eigentlich gar nicht wirklich weiß sind, sondern beige. Das macht der Dreck. Alle Leute hier riechen nach Desinfektionsmittel statt nach Essen oder Weihnachten, oder wenigstens nach Schweiß. Als gäbe es sie gar nicht wirklich, als wären sie nur Figuren aus einer Geschichte, dabei haben sie die meine fest in ihrer Hand...

Der Arzt vor mir fragt nach meinem Namen, den ich schon so vielen Ärzten buchstabieren musste, fragt nach meiner Vorgeschichte, die so lang ist, dass ich beinahe alle Kreuze im Anamnesebogen kreuzen muss, als wäre ich neunzig und hätte schon einiges erlebt. Ich lächle, als ich die Dialyse und den Krebs überspringen kann und weiß, dass ich viel Glück im im Leben habe.

"Tumorerkrankung" kreuze ich an, "Lungenembolie" kreuze ich an, "Gerinnungsstörung", "Angststörung", "Blutungsneigung" ausgelöst durch meine Medikamente... und jetzt auch noch ein Kreuz beim Herzen. Dem einzigen Organ, von dem ich immer dachte, es wäre groß und stark und unabhängig.

Der Arzt geht und lässt mich mit einer vagen Idee alleine. "Wir wissen noch nichts, aber prüfen alles. Ihr Körper funktioniert nicht so, wie er das soll und wir sind dafür zuständig, den Fehler zu finden," sagt der Arzt und ich denke nur: "Nicht ein Fehler sondern den dritten "Fehler" in drei Jahren."

Tumor. Lungenembolie. Herz. Tumor. Lungenembolie. Herz. Tumor. Lungenembolie. Herz. Es ist wie ein abgefucktes Mantra, ein Lied, dass keiner singen will, weil es scheiße klingt, so einfach ist das. Aber trotzdem ist es mein ganz eigener Ohrwurm.


Nur ab und zu wird die Angst von Kleinigkeiten übertönt. Meine Schwester und meine Mama haben mich heute den ganzen Tag über begleitet, haben mit den Stationsschwestern geschäkert und mich ab und an zum Lachen gebracht. Sie haben mir "Drachenzähmen leicht gemacht" gekauft und mir Äpfel in kleine Stücke geschnitten, als wäre es das Pausenbrot von lang vergangenen Jahren.


Langsam versteh' ich, warum alte Menschen einem "alles Gute, vor allem aber Gesundheit" zum Geburtstag wünschen, obwohl man sich doch eher über Konzertkarten, oder einen Kinogutschein gefreut hätte. Aber sie haben Recht, das hatten sie immer... Alte Menschen wissen, was das Leben zu bieten hat. Sie kennen all das Gute, aber auch das Schlechte.

Sie kennen die wichtigste Ressource des Lebens - den Körper - denn sie haben gelernt immer mehr auf ihn verzichten zu müssen, oder mehr noch: mit dem Rest, der über die Jahrzehnte übrig geblieben ist, leben zu müssen.

Nur wird einem mit jedem neuen Tag im Krankenbett Eines immer klarer... Man versteht, dass es eine zweite Ressource gibt, dass es da etwas gibt, dass hilft. Eine Stärke, die die Gesundheit nicht vollständig aushebelt, ihr aber zuspielt, sie unterstützt, ihre Abwesenheit erträglicher macht.

Es sind Menschen, die einem Gutes wollen. Ärzt:innen, die einem Dinge erklären, Schwestern und Pfleger, die einem Smarties schenken. Es ist Familie. Es ist Liebe.


Mein Freund hat heute Geburtstag. Und trotzdem ist er bei mir...

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